Stadttheater Giessen
    Fulminante Oper - Beifallstürme am Gießener Stadttheater

    Fulminante Oper

    Beifallsstürme am Gießener Stadttheater


    Ein Sprichwort sagt: Geld verdirbt den Charakter. Daran scheint etwas zu sein, zumindest wenn man Gottfried von Einems Oper "Der Besuch der alten Dame" glaubt. Am Samstag hatte das Stück, das auf einem Libretto von Friedrich Dürrenmatt basiert, in einer Inszenierung von Intendantin Cathérine Miville am Stadttheater Premiere.

    Und es wäre deutlich zu tief gestapelt, nur von Applaus zu sprechen. Denn als die Oper, deren musikalische Leitung in den Händen des stellvertretenden Generalmusikdirektors Herbert Gietzen lag, zu Ende war, brach ein wahrer Beifallssturm los. Immer wieder gab es Bravo-Rufe zu hören und erst nach mehreren Vorhängen beruhigte sich das Publikum.

    Und am Ende dieses fulminanten Opernabends war soviel sicher: Alte Sprichwörter treffen den Nagel meist auf den Kopf, doch es geht Dürrenmatt bei Weitem nicht nur darum, die Verlockung des Geldes zu dämonisieren.

    Ganz in existenzialistischer Manier fragt er vielmehr danach, was den Menschen eigentlich wirklich antreibt, und die Antwort des Schweizers ist brutal und schonungslos. Kurzum: Nach Dürrenmatt tun Menschen für Geld alles. Menschlichkeit und wahre Gerechtigkeit spielen keine Rolle, wenn der Mammon lockt.

    Hut ab vor dieser künstlerischen Gesamtleistung des Ensembles

    Besonders viel davon lockt, als die Milliardärin Claire Zachanassian - mit genau dem richtigen Schuss Pathos divenhaft gespielt und gesungen von Caroline Whisnant - nach Jahrzehnten in ihre Heimatstadt Güllen zurückkehrt. Dort ist man zwar arm, aber die Gemeinschaft scheint in Takt. Und: Die Heimkehr der reichen und wohltätigen alten Dame verspricht den Güllenern die Lösung ihres Schuldenproblems.

    Claires Jugendliebe Alfred Ill (Edward Gauntt) wird vorgeschickt, um für die Stadt nach Geld zu fragen, und die Zachanassian lässt sich ein. Sie verspricht eine Milliarde, unter einer Bedingung: Alfred Ill, der sie einst mit dem gemeinsamen Kind sitzengelassen und im darauffolgenden Gerichtsprozess verleumdet hat, muss sterben. Noch am Anfang stehen alle zu Ill, doch der merkt, dass sich die Schlinge um seinen Hals zuzieht, und es gelingt Gauntt wirklich meisterhaft, die panische Angst und schließlich Gewissheit mit seiner kräftigen und klaren Stimme auf die Bühne zu bringen.

    Einen ersten Höhepunkt erreicht die Menschenjagd, als der Bürgermeister, dem Dan Chamandy klangvolle Würde einsingt, nur um seine Doppelmoral zu zeigen, Ill ein Gewehr zum Selbstmord reicht.

    Doch am Ende des Stücks, bei dem sich alle Sänger inklusive Chor und Extrachor von ihrer allerbesten Seite zeigten, kommt es anders.

    Ein Wort zu Herbert Gietzen und dem Philharmonischen Orchester. Als Besucher des Stadttheaters ist man es gewohnt, instrumentalmusikalisch verwöhnt zu werden, auch diesmal gibt es nur eines zu sagen: Musikgenuss pur.

    Insgesamt eine rundum stimmige Inszenierung, an deren Gesamtharmonie Lukas Nolls Bühnenbild erheblichen Anteil hatte. Mit großen Metallgestellen und Videoprojektionen wurde eine Raumtiefe erzeugt, die der Oper zum einen den so heiß geliebten Schuss Bombastik verlieh. Zum anderen war die puristische Kulisse vor allem das richtige Konzept für das existenzialistisch angehauchte Stück, das Einfachheit braucht, um den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Hut ab vor dieser beeindruckenden gesamtkünstlerischen Leistung. Stephan Scholz, 17. Mai 2011, Wetzlarer Neue Zeitung